Die Inflation in den USA ist zurückgegangen, Amerikas Wirtschaft brummt. Und doch fühlt es sich für die US-Wählerschaft nicht so an, meint Bernd Thomsen. Dieser Artikel erschien erstmals als Gastkommentar im Handelsblatt.
Prof. Bernd Thomsen ist Zukunftsökonom, Gründer der Thomsen Group und US-Experte. Er lebt in Miami und Hamburg.
Am Dienstag nächster Woche findet in den USA die Wahl statt, die nicht nur für die gespaltene Weltmacht selbst wegweisend ist. Wer sich vorher Nervennahrung holt, vielleicht ein Menü einer Fast-Food-Kette und danach eine Kugel Eis ums Eck, zahlt für alles 26 Dollar. In Deutschland würden gerade mal sieben Euro fällig!
Solche Preise fördern die Zustimmung zu Donald Trumps Wirtschaftspolitik. Faktisch sehen die durchschnittlichen Zahlen anders aus: Die Inflation ist zurückgegangen, die Gehälter sind gestiegen. Amerikas Wirtschaft brummt! Doch für die Wählerschaft fühlt es sich nicht so an.
Nicht nur Donald Trump lügt
Grund dafür sind die auch von der Wirtschaft oft sträflich vernachlässigten Economies-of-Emotion-(EoE-)Effekte – also die emotionalen Effekte. 85,7 Prozent aller menschlichen Entscheidungen werden emotional getroffen und danach oft rational begründet. Zu emotionalen Effekten kommt es, wenn sich Trump in einem der maßgeblichen Swing States mit Schürze an der Fritteuse einer Fast-Food-Kette zeigt. Auch wenn Kamala Harris bei der gefühlten Wirtschaftskompetenz aufholte, liegt Trump immer noch sieben Prozent vor ihr.
Niemand posaunt so viele Lügen heraus wie Donald Trump, wie etwa die der gestohlenen Wahl 2020. Er gestand seine Taktik: immer wiederholen, bis die Menschen glauben, was er sagt. US-Präsident Joe Biden bezeichnete Trump als große Gefahr für die Demokratie.
Recht hatte er, denn Trump bedient sich des Werkzeugkastens der Populisten und Propagandisten zur Abschaffung der Demokratie. Doch nicht nur er lügt. Die Behauptung, Biden sei nicht altersschwach, war eine Lüge von Harris. Genau das nutzen Trumps Anhänger jetzt. Sie bestreiten seine sinnentleerten, vulgären und teils autokratischen Ausschweifungen nicht, sondern drehen den Spieß auf populistische Weise um: „Du findest ihn zwar nicht gut, aber mit ihm wird’s dir besser gehen!“
Kamala Harris gelingt es nicht so gut wie ihrem Herausforderer, emotionale Effekte zu erzeugen
Und dann ist da noch Elon Musk, der nominierte Effizienzchef der Regierung. Der geniale E-Auto- und Weltraumpionier verschleudert für Donald Trumps Wahlsieg und den eigenen Vorteil Verschwörungstheorien, blanke Lügen und viel Geld. Eine Riesen-Aufmerksamkeitswirkung, die auch China und Russland für ihren Desinformationskrieg nutzen, über den gerade erstaunlich wenig gesprochen wird. Dieser Krieg vergrößert auf Basis von Lügen die Unsicherheit in der Bevölkerung. Das menschliche Gehirn kann aber wissenschaftlich erwiesen nicht mit so viel Unsicherheit umgehen.
Egal, ob eine Bedrohung tatsächlich existiert oder nur so empfunden wird: Das Gehirn schlägt Alarm. Die Menschen werden aggressiv und fliehen in die Arme derer, die einfache Lösungen versprechen. Trump eben.
Kamala Harris verliert also:
- Sie verliert gegen Barack und Michelle Obama, die bei ihren Wahlkampfauftritten zeigen, wie man Menschen wirklich berührt.
- Sie verliert gegen Joe Biden, der mehr schwarze Männer und Weiße vom Land begeisterte.
- Sie verliert gegen Trumps Publicity, denn beim Schmutzwahlkampf gewinnt das Original.
- Sie verliert gegen Nahost, denn Israel tut, was es will. Sie verliert gegen Hurrikans, weil ihr die Gummistiefel des heutigen Putin-Buddys Gerhard Schröder zu groß sind.
Trump nutzt die EoE und ist als Erster vor Ort, um die Lüge zu verbreiten, Kamala Harris würde Migranten statt den Sturmopfern finanzielle Hilfe leisten. Kurz: Harris verliert vor allem gegen die EoE.
Das Rennen ist knapp wie nie. Vielleicht wird es am Ende ein Unentschieden. Dann muss das Repräsentantenhaus entscheiden. Vielleicht werden wir erst Tage nach der Wahl den Sieger kennen.
Und doch kann Harris die erste Frau an der Spitze der größten Militär- und Wirtschaftsmacht der Welt werden. Denn ihre EoE setzen den düsteren Untergangsvorhersagen Trumps Optimismus entgegen – im Finale des Wahlkampfs mit Weltstars wie Bruce Springsteen und Beyoncé. Das Rennen ist knapp wie nie. Vielleicht wird es am Ende ein Unentschieden. Dann muss das Repräsentantenhaus entscheiden.
Vielleicht werden wir erst Tage nach der Wahl den Sieger kennen. Vielleicht entscheiden auch die Briefwahlstimmen. Unter den Rekordzahlen der „Early Voters“ steht es gerade 59 zu 40 für Kamala Harris. Oder es werden die 15 Prozent noch Unentschiedenen das Ergebnis bestimmen. Vor zwei Wochen lag Trump da noch ein Prozent vorn, jetzt führt Harris mit zehn Prozent. Macht sie das Rennen, würden wir alle eines verlieren: die Sorge vor der Trump-Präsidentschaft. Der Demokratie ist es zu wünschen.